Heute hatte ich mal wieder ein Tagesseminar im Rahmen der Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin. Thema heute war „Trauer“. Dabei ging es nur peripher um unsere eigene Trauer, aber hauptsächlich um die Trauerbegleitung und den Umgang mit Trauernden. Es war eine wunderbare Seminareinheit, die mir so viele Ideen und Einsichten gegeben hat, dass ich sie hier noch gar nicht formulieren kann. Die wichtigste Botschaft war aber einmal mehr: akzeptiere jede Art zu trauern. Gib nicht vor, wie jemand trauern soll. Sag niemandem, er solle jetzt doch endlich mal weinen, und sag auch niemandem, sie solle aufhören zu weinen. Solange es nicht den Anschein macht, dass jemand wirklich feststeckt, lass ihn um Himmels Willen trauern, wie es gerade kommt.
Natürlich sind mir bei dieser Thematik auch wieder Dinge eingefallen, die mir angetragen wurden, nachdem mein Bruder gestorben war. Dinge, die mal wieder in die Kategorie „Halt doch einfach mal die Fresse“ gehören (mehr zum Thema „Halt doch mal die Fresse“ finden sich unter anderem hier). Meine Freundin R. (die ich in einem Trauerforum für Geschwister kennengelernt habe) und ich haben mittlerweile viele Jahre damit verbracht, ein Best of Trauergeschwurbel zusammenzustellen, und ich versuche mich hier mal in einer kleinen Auflistung:
Circa 15 Stunden nach Eriks Tod. Will mich krankschreiben lassen. Meine damalige Hausärztin: „Frollein W., Sie sind ja total versteinert. Wenn das so bleibt, sollten wir mal über Medikamente nachdenken“. – „Alter, ich bin nicht krank, ich steh unter Schock. Muss ich dir das erklären, Frau Doktor?“
Tag der Beerdigung. Eine Arbeitskollegin: „Du weinst ja gar nicht. Du hast sogar gelächelt, als du hinter dem Sarg her gegangen bist. Hast du Medikamente genommen?“ – „Nein, ich fand’s schön, und die Sonne kam raus. Fand ich gut.“
Drei Monate danach. Eine ehemalige Freundin: „Geht’s dir IMMER NOCH nicht besser?“
Vom Tag des Todes bis heute, 12 Jahre später. Viele: „Ohmeingottkeerstiiin! Das ist ja schrecklich! Wie geht es deinen Eltern? Das muss SO schlimm für die sein!“ – „Ja, das ist es. Und danke der Nachfrage, mir geht’s auch beschissen.“ – „Ja, aber du musst jetzt wirklich für deine Eltern da sein!“
Irgendwann. Eine ehemalige Freundin: „Es war besser für ihn.“ – „Nein, besser für ihn wäre gewesen, er wäre gesund geworden.“
Nicht zu mir, sondern zu R. Irgendwer. R. hat drei Geschwister, und eine ihrer Schwestern war kürzlich gestorben: „War es eine wichtige Schwester? Naja, zum Glück hast du ja noch zwei.“ – „Stimmt, so hatte ich das noch nicht gesehen. Ersetze ich sie halt.“
Ich weiß, meine Auflistung scheint zynisch. Ist sie irgendwie auch. Und mir ist bewusst, dass die Menschen es nicht böse meinen, helfen wollen oder einfach nicht wissen, was sie sagen sollen. Ich weiß, dass ich nur aufgrund meiner Erfahrung weiß, wie beknackt solche Aussagen sind. Ich bin (fast) niemandem böse.
Ich möchte nur sagen: es gibt so viele unterschiedliche Facetten der Trauer. Keine davon ist falsch. Der eine heult nur noch, der andere geht tanzen. Vielleicht ist jemand auch froh, eine bestimmte Person nicht mehr in seinem Leben zu haben. Ich lese oft „Seid nachsichtig mit den Trauernden“. Nein, seid das nicht. Setzt euch nicht auf ein so hohes Ross, das euch Nachsicht erlaubt. Akzeptiert es einfach. Seid da. Sagt vielleicht einfach mal nichts. Der trauernde Mensch wird nie wieder derselbe sein wie vorher. Aber das ist nichts Schlechtes. Trauer gehört zum Leben, nicht nur wenn jemand stirbt. Trauer ist gesund!
In diesem Sinne: memento mori!
Frollein W.
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